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Date: 1999-10-13

Die Nebel von ECHELON


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[Dieser Artikel ist im heutigen Falter erschienen]

Im europäischen Parlament tickt eine Zeitbombe. Dort
deponiert wurde sie Anfang Mai 1999, als der Geheimdienst-
Analyst Duncan Campbell [Guardian, Channel 4] sein
Gutachten "Interception Capabilities 2000" beim sogenannten
STOA-Komitee [Science and Technology Options
Assessment Panel] des EU-Parlaments ablieferte. Seitdem
harrt ein brisantes Papier, das die technischen Möglichkeiten
der elektronischen Überwachung ziviler Kommunikation durch
die militärischen Geheimdienste analysiert und einschätzt,
seiner Behandlung durch das Parlament.

Dieses hat gerade seine erste Sitzung nach den EU-Wahlen
hinter sich, das für Bürgerrechte, Inneres und Justiz
zuständige Komitee, von dem Campbells Bericht angefordert
hatte, formiert sich gerade neu. Sobald "Interception
Capabilities 2000" das Komitee passiert und ans Plenum
weitergeht, wird der aus internationalen Verträgen,
Exportgüterlisten und vertraulichen Papieren
zusammengetragene Sprengstoff scharf gemacht. Der Zünder
für die Bombe aber stammt vom anderen Ende der Welt.

Kurz nachdem Campbells Bericht deponiert wurde - seitdem ist er im Internet verfügbar - beantwortete Martin Brady, Direktor des australischen Geheimdienstes Defence Signals Directorate [DSD] eine Anfrage der TV-Station Ch
annel 9. Zur großen Überraschung der Fragesteller antwortete der oberste Lauschangreifer Australiens nicht nur, sondern bestätigte in mehreren Schreiben, dass seine Organisation mit anderen, ähnlich gearteten "signals int
elligence" Organisationen im Rahmen des sogenannten UKUSA-Vertrags systematisch von Kommunikationssatelliten abgefangene Daten austausche.

Damit wurde die Existenz eines seit 1947 existierenden Vertragswerks, über das die offiziellen Stellen der fünf UKUSA-Gründerstaaten [USA, UK, CA, NZ, AU] seit mehr als 50 Jahren grundsätzlich keine Stellungnahmen abgeben
, zum erstenmal offiziell bestätigt. Der Vertrag regelt die Zusammenarbeit der genannten Staaten beim Betrieb des globalen Abhörnetzwerks ECHELON, einem Verbund aus mittlerweile mindestens 120 Stationen von Australien bis
Alaska, den der US-Supergeheimdienst National Security Agency [NSA] kontrolliert.

Existenz und Fähigkeiten dieses Geheimdienst-Netzes kamen erstmals Anfang der Achtziger Jahre in James Bamfords bahnbrechendem Buch über die NSA ["The Puzzle Palace" 1983] an die Öffentlichkeit, freilich ohne Reaktionen
auszulösen. Alle Anfragen von Journalisten und Kongressabgeordneten wurden [und werden bis heute] mit der stereotypen Erklärung abgeschmettert, ein solches Netz von Spionagestationen sei nicht bekannt. Fünf Jahre Schweig
en folgten, bis der erste Zeitungsbericht über ECHELON erschien, verfasst von Duncan Campell für den New Statesman [1988]. Von sporadischen weiteren Artikeln abgesehen, blieb die Nachrichtenlage über ECHELON mehr als dünn
, bis der neuseeländische Journalist Nick Hager ["Secret Powers", 1996] das Ergebnis seiner Interviews mit mehreren Dutzend pensionierten Mitarbeitern des Government Communications Security Bureau (GCSB) veröffentlichte,
die sich als verblüffend gesprächig erwiesen. Die Nebel um ECHELON begannen sich erstmals zu lichten.

Die brisanteste Aussagen in Hagers Buch - ECHELON steht nahezu vollständig unter der Kontrolle der USA und dient seit Ende des Kalten Kriegs zunehmend der Wirtschaftsspionage - lagen dem ersten STOA-Report an das EU-Parla
ment [An Appraisal Of The Technologies of Control, 1997] zu Grunde.

Im September 1998 löste der Bericht, der auch erste Hinweise auf das unter dem Codenamen ENFOPOL geplante Abhörnetz der Europolizei enthielt, heftige Reaktionen aus. Der damalige EU-Kommissar Bangemann erklärte einer Gru
ppe erboster Parlamentarier, auch wenn es deutliche Hinweise gebe, dass der zivile Kommunikationsverkehr von US-Militärs überwacht werde, könne die Kommission dazu keine Meinung äußern, ohne die Beziehungen zu den USA mas
siv zu belasten. Das angebliche Abhörnetz sei nämlich weder in offiziellen Dokumenten oder Stellungnahmen weltweit jemals erwähnt worden.

Mindestens zwei Fälle, in denen der massive Verdacht besteht, dass europäische Firmen [die deutsche Enercon und die französische Waffenschmiede Thomson CSF] vermeintlich sichere Aufträge in Milliardenhöhe entgangen waren,
weil die interne Firmenkommunikation systematisch abgehört wurde, sind mittlerweile dokumentiert.
Dass gerade australische und neuseeländische Geheimdienstleute, die das Gros der abgehörten Signale aus Südostasien und dem Pazifik an die NSA liefern, so überaus gesprächig sind, ist darauf zurückzuführen, dass Südostas
ien und Japan - von dort sind mehrere gleichgelagerte Fälle von Wirtschaftsspionage zugunsten von US-Unternehmen dokumentiert - dort ihre traditionellen Absatzmärkte haben.

Nach der Erklärung des australischen Geheimdienstchefs ist eine Nicht-Reaktion durch die EU-Kommision jedenfalls nicht mehr vorstellbar. Wenn "Interception Capabilities 2000" eventuell noch im November den Ausschuss passi
ert und an das Plenum weitergeht, wird es mit der diplomatischen Zurückhaltung vorbei sein, zumal handfeste Interessen der europäischen Industrie auf dem Spiel stehen.

Der seit einem Jahr schwelende Konflikt über die EU-Richtlinie zum Datenschutz - sie steht in diametralem Gegensatz zu den US-Praktiken des freien Handels mit persönlichen Daten - wird durch Vorwürfe der Wirtschaftsspion
age weiter angeheizt werden, ein veritabler Handelskrieg ist im Rahmen der Optionen keineswegs auszuschließen. Vor allem dem EU-Mitglied Grossbritannien, von dessen Territorium aus die Kommunikation europäischer Unternehm
en abgehört wird, stehen Fragen peinlicher Natur ins Haus.

In die Nebel über ECHELON aber kam bereits Bewegung: Von 1998 bis heute sind alleine in europäischen Tageszeitungen und Magazinen hunderte Artikel zum Komplex ECHELON erschienen.

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Kernaussagen von "Interception Capabilities 2000"

[Kasten]

Mindestens 120 Abhörstationen hören im Simultanbetrieb für ECHELON den Globus ab und filtern nach einem Stichwortkatalog die relevanten Botschaften aus. U-Boote werden routinemäßig benutzt, um transatlantische Kabel anzuz
apfen, wobei dies sogar für Glasfaserverbindungen gilt. Das Abhören internationaler Kommunikation wird seit langer Zeit routinemäßig benutzt, um Daten über Individuen, Regierungen, Handelsorganisationen und international
e Institutionen zu sammeln. Europäische Unternehmen seien das Ziel von Abhöraktionen und Regierungen führender westlicher Nationen, die das von Geheimdiensten gewonnene Material benutzen, um eigenen Unternehmen Wettbewerb
svorteile zu verschaffen.

Für die Überwachung des Internet habe die NSA seit 1995 "Sniffer-Software" zumindest an den neun wichtigsten Internetknoten der USA installiert, an den von US-Regierungsbehörden betriebenen Knoten FIX East und Fix West, d
ie mit den kommerziellen Knoten MAE East und MAE West eng verbunden sind. Über diese wird weitaus der meiste Verkehr von Europa bzw. Asien in die USA geroutet.

Elektronische Spracherkennungssysteme werden zwar
systematisch eingesetzt, "Voiceprints" von Zielpersonen in
Datenbanken abgespeichert, aber es gibt trotz
anderslautenden Medienberichten keine zwingenden Indizien
dafür, dass Telefonie flächendeckend abgefangen,
automatisch prozessiert und nach Stichworten durchsucht
wird. Mit wesentlich einfacher zu verarbeitenden Telexen,
Faxen oder E-Mails passiert dies hingegen sehr wohl.

In Europa betreiben aussserdem noch Deutschland,
Frankreich, die Niederlande, Schweden und die Schweiz
großangelegte "signals intelligence" -Operationen.

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Weiterführende Links

Interception Capabilities 2000
http://www.gn.apc.org/duncan/interception_capabilities_2000.htm

ECHELON Background
http://www.shire.net/big.brother/echelon.htm

ECHELON Links
http://www.wodip.opole.pl/~laslo/Echelon-links.html


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edited by Harkank
published on: 1999-10-13
comments to office@quintessenz.at
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